Was ist Perfektionismus – und warum betrifft er Lehrer:innen besonders?
Perfektionismus im Lehrerberuf beschreibt das Streben nach Fehlerlosigkeit und extrem hohen Standards – oft an sich selbst, manchmal auch an andere. In der Gesellschaft wird Perfektionismus häufig als Tugend angesehen: Genauigkeit, Verlässlichkeit, Ehrgeiz. Doch im Lehrerberuf kann dieses Streben schnell zur Belastung werden.
Warum gerade Lehrer:innen?
- Hohe Verantwortung: Bildung, Erziehung, soziale Entwicklung – Lehrer:innen tragen viel.
- Öffentliche Bewertung: Eltern, Kolleg:innen, Vorgesetzte und Medien beobachten und beurteilen.
- Innere Ansprüche: Viele Lehrkräfte haben ein starkes Idealbild von „gutem Unterricht“.
- Fehlerkultur fehlt oft: Fehler gelten als Schwäche – nicht als Lernchance.
Laut Studien zeigen rund ein Drittel der Lehrkräfte stark perfektionistische Züge2. Das ist kein Zufall – sondern Ausdruck eines Systems, das Leistung über Menschlichkeit stellt.
⚠️ Wenn Perfektionismus im Lehrerberuf krank macht – die Schattenseite
Perfektionismus ist nicht per se negativ. Es gibt einen funktionalen Perfektionismus, der zu guten Ergebnissen führt. Doch wenn der Anspruch überhöht wird, spricht man von dysfunktionalem Perfektionismus – und der kann krank machen.
Typische Folgen:
- Chronischer Stress
- Schlafstörungen und Erschöpfung
- Angststörungen und Depressionen
- Sozialer Rückzug und Isolation
- Burnout und psychosomatische Beschwerden
Die Spirale beginnt oft harmlos: „Ich will es gut machen.“ Doch sie endet nicht selten in einem Zustand der totalen Überforderung.
Die drei Formen des Perfektionismus im Lehrerberuf
Laut Psychologin Dr. Julia Belke und anderen Expert:innen lassen sich drei Hauptformen unterscheiden:
Form des Perfektionismus | Beschreibung | Typische Folgen |
---|---|---|
Selbstbezogen | Extrem hohe Ansprüche an sich selbst | Selbstkritik, Versagensangst, Depression |
Sozial bezogen | Angst, andere zu enttäuschen | Selbstaufgabe, soziale Ängste, Rückzug |
Auf andere bezogen | Hohe Erwartungen an Mitmenschen | Konflikte, Enttäuschung, Isolation |
Viele Lehrer:innen zeigen eine Mischung aus selbstbezogenem und sozial bezogenem Perfektionismus – sie wollen alles richtig machen und niemanden enttäuschen.
Ursachen: Woher kommt der Perfektionismus bei Lehrerinnen?
Perfektionismus ist keine Charaktereigenschaft – sondern oft eine erlernte Überlebensstrategie5.
Häufige Wurzeln:
- Kindheit & Erziehung: Liebe und Anerkennung nur bei Leistung
- Schulische Prägung: Referendariat mit unrealistischen Erwartungen
- Gesellschaftlicher Druck: Lehrer:innen sollen alles können – und dürfen nichts falsch machen
- Medienbilder: Der „faule Lehrer“ als Klischee erzeugt Gegendruck
Diese Erfahrungen prägen Glaubenssätze wie:
„Ich bin nur wertvoll, wenn ich perfekt bin.“ „Fehler zeigen Schwäche.“ „Ich darf niemanden enttäuschen.“
Psychologische Mechanismen hinter dem Perfektionismus
Perfektionismus ist oft mit einem instabilen Selbstwert verbunden. Wer sich nur über Leistung definiert, lebt in ständiger Angst vor Fehlern und Ablehnung.
Typische Denkweisen:
- „Wenn ich nicht alles gebe, bin ich faul.“
- „Nur perfekte Arbeit ist gute Arbeit.“
- „Ich muss alles kontrollieren.“
- „Ich darf keine Schwäche zeigen.“
Diese inneren Antreiber führen zu einem Zustand permanenter Anspannung – und verhindern echte Erholung.
Perfektionismus im Schulalltag – konkrete Beispiele
- Unterrichtsvorbereitung: Stunden werden überperfektioniert – bis zur Erschöpfung
- Korrekturen: Jeder Kommentar wird doppelt geprüft – aus Angst vor Elternkritik
- Elternkommunikation: E-Mails werden zigmal überarbeitet – aus Sorge, missverstanden zu werden
- Teamarbeit: Aufgaben werden nicht abgegeben – weil „niemand macht es so gut wie ich“
- Selbstbild: „Ich bin nie gut genug“ – trotz objektiv guter Leistung
Der Teufelskreis: Perfektionismus und Burnout
Perfektionismus ist einer der stärksten Risikofaktoren für Burnout4. Warum?
- Hohe Ansprüche → Überarbeitung
- Überarbeitung → Erschöpfung
- Erschöpfung → Fehler
- Fehler → Selbstkritik
- Selbstkritik → noch höhere Ansprüche
Ein Teufelskreis, der nur durch bewusste Unterbrechung gestoppt werden kann.
Befreiung vom Perfektionismus – 7 wirksame Strategien für Lehrer:innen
Perfektionismus ist kein Schicksal – sondern ein Muster, das verändert werden kann. Der Weg zur Befreiung beginnt mit Selbstakzeptanz, realistischen Zielen und einem liebevollen Umgang mit den eigenen Grenzen. Hier sind sieben bewährte Strategien, die Lehrer:innen helfen, sich vom krankmachenden Perfektionsdruck zu lösen.
1️⃣ Selbstakzeptanz statt Selbstkritik
Der wichtigste Schritt: Lernen, sich selbst anzunehmen – auch mit Fehlern und Unvollkommenheiten. Fehler sind kein Versagen, sondern Teil des Lernprozesses.
Impulse zur Selbstakzeptanz:
- Schreiben Sie sich regelmäßig Ihre Erfolge auf – auch kleine.
- Üben Sie positive Selbstgespräche: „Ich bin genug, auch wenn nicht alles perfekt ist.“
- Reflektieren Sie: Würden Sie mit einer Kollegin so hart ins Gericht gehen wie mit sich selbst?
„Fehler sind Lerngelegenheiten – nicht Beweise für Unzulänglichkeit.“
2️⃣ Realistische Ziele setzen – und Prioritäten klären
Perfektionist:innen neigen dazu, sich zu viel vorzunehmen – und sich dann selbst zu überfordern. Der Schlüssel liegt in klaren, erreichbaren Zielen.
Praktische Tipps:
- Verwenden Sie die SMART-Methode (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert).
- Fragen Sie sich: „Was ist heute wirklich wichtig?“
- Planen Sie bewusst Pausen und Pufferzeiten ein.
„Nicht alles muss heute erledigt werden – manches darf auch morgen noch gut genug sein.“
3️⃣ Fehlerkultur fördern – im Klassenzimmer und Kollegium
Lehrer:innen prägen die Haltung zu Fehlern – bei sich selbst und bei ihren Schüler:innen. Eine gesunde Fehlerkultur entlastet und stärkt das Miteinander.
Impulse für den Schulalltag:
- Thematisieren Sie Fehler als Lernchance im Unterricht.
- Teilen Sie eigene „Fehlermomente“ mit Kolleg:innen – das schafft Vertrauen.
- Entwickeln Sie gemeinsam Leitsätze wie: „Fehler sind erlaubt – und willkommen.“
„Wer Fehler zulässt, schafft Raum für Entwicklung.“
4️⃣ Kontrolle abgeben – Vertrauen lernen
Perfektionismus geht oft mit Kontrollbedürfnis einher. Doch Kontrolle kostet Energie – und verhindert Entlastung.
Übungen zur Loslösung:
- Delegieren Sie Aufgaben bewusst – auch wenn sie „nicht perfekt“ erledigt werden.
- Akzeptieren Sie, dass andere anders arbeiten – und das okay ist.
- Üben Sie sich in Gelassenheit: „Es darf auch mal anders laufen.“
„Vertrauen ist der Gegenspieler des Perfektionismus.“
5️⃣ Achtsamkeit und Selbstfürsorge integrieren
Achtsamkeit hilft, aus dem Autopilot des Perfektionismus auszusteigen. Selbstfürsorge stärkt die Resilienz und schützt vor Überlastung.
Konkrete Ansätze:
- 5-Minuten-Atemübungen vor dem Unterricht
- Journaling: „Was hat mir heute gutgetan?“
- Bewegung, Natur, Musik – regelmäßig und bewusst
„Selbstfürsorge ist kein Egoismus – sondern Voraussetzung für gute Arbeit.“
6️⃣ Glaubenssätze hinterfragen – und neu schreiben
Perfektionismus basiert oft auf alten inneren Überzeugungen. Diese können bewusst gemacht und verändert werden.
Typische Glaubenssätze:
- „Ich muss perfekt sein, um gemocht zu werden.“
- „Fehler zeigen Schwäche.“
- „Ich darf niemanden enttäuschen.“
Neue Glaubenssätze:
- „Ich bin wertvoll – unabhängig von Leistung.“
- „Fehler machen mich menschlich.“
- „Ich darf Grenzen setzen.“
„Heilung beginnt, wenn wir unsere inneren Stimmen neu schreiben.“
7️⃣ Professionelle Unterstützung nutzen – Coaching & Therapie
Manche Muster sind tief verankert – und brauchen professionelle Begleitung. Coaching, Supervision oder Therapie können helfen, den Ursprung des Perfektionismus zu verstehen und neue Wege zu gehen.
Mögliche Angebote:
- Schulpsychologische Beratung
- Lehrercoaching (z. B. über TeachersCare oder SchulwissenPlus)
- Psychotherapie bei starkem Leidensdruck
- Gruppensupervision oder kollegiale Fallberatung
„Manchmal ist der stärkste Schritt, Hilfe anzunehmen.“
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