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Lernen mit Hochsensibilität umzugehen | Praxis für Psychotherapie Helke Wieners

Wie gehe ich mit meiner Hochsensibilität um? 4 erprobte Möglichkeiten

Coaching, Psychologie

Du bist eine richtige Mimose“, sagte ein Bekannter vor ein paar Jahren zu mir. Als Geburtstagsgeschenk bekam ich dann eine Mimose geschenkt. Diese Pflanze ist in der Tat hübsch anzuschauen und interessant, denn wenn man ihre Blätter berührt, zieht sie diese zusammen. Damit zeigt die Mimose ein Verhalten, das viele Hochsensible kennen: Sie reagieren auf kleinste Reize, was für viele als herausfordernd erlebt wird und sie vor die Frage stellt: „Wie gehe ich mit meiner Hochsensibilität um?“

Ich musste mir schon oft anhören, dass ich mir nicht alles so zu Herzen nehmen und mich nicht so zurückziehen soll. Und ich soll doch nicht so empfindlich sein, das war doch jetzt nur ein Witz. Dabei habe ich durchaus Humor, aber es gibt Witze, bei denen bleibt mir das Lachen im Hals stecken. Hochsensible Menschen haben oft das Gefühl, nicht richtig zu sein mit ihrer Sensibilität, dabei gibt es sowohl neurologische als auch genetische Ursachen für die erhöhte Sensitivität. Auch in der Biografie lassen sich für eine erhöhte Sensibilität finden.

In diesem Blogbeitrag möchte ich beleuchten, was eigentlich hinter der Hochsensibilität steckt, mit welchen Problemen HSP oft konfrontiert sind, und vor allem: Was Sie tun können, um liebevoller mit sich umzugehen.

Was bedeutet Hochsensibilität? Merkmale und Potenziale

Hochsensibilität betrifft ca. 20 % der Menschen und meint, dass Reize wie beispielsweise Geräusche, Gerüche, Druck, Hitze und Kälte intensiver wahrgenommen werden. Sehr oft spüren Hochsensible auch zwischenmenschliche Schwingungen und die Emotionen anderer Menschen sehr deutlich. Einerseits sind Hochsensible dadurch besonders empathisch, andererseits führt diese Sensitivität oft zu einer Überstimulation. Hochsensible erleben sich daher als weniger belastbar, weniger stressresistent und fragen sich vielleicht sogar, was mit ihnen nicht stimmt und warum sie nicht einfach „normal“ sein können.

Ihre erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit sorgt andererseits aber auch für ganz besondere Erlebnisse. Hochsensible erleben die Natur oft besonders intensiv und schöpfen daraus viel Kraft. Auch Musik oder Kunst kann in einer Weise erlebt werden, die auf tiefster Ebene berührt und eine enorme Kraftquelle ist. Aufgrund ihrer Feinfühligkeit sind Hochsensible prädestiniert für Aufgaben, wo zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl vonnöten ist, beispielsweise als Arzt, Therapeut oder Coach.

Warum bin ich hochsensibel? Mögliche Ursachen im Überblick

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Menschen hochsensibel sind. Zum einen spielt das Gehirn eine wichtige Rolle, da es Reize von außen weniger stark wahrnimmt. Betrachtet man Hochsensibilität aus der Perspektive des Nervensystems, so ist die Exterozeption – der Teil des Nervensystems, der die Umgebung wahrnimmt, um für Sicherheit zu sorgen – erhöht. Daher reagieren Hochsensible stärker auf subtile Veränderungen. Es werden auch genetische Ursachen vermutet: Es gibt Hinweise darauf, dass Hochsensibilität teilweise genetisch bedingt ist. Sie könnte evolutionär entstanden sein, da eine feinere Wahrnehmung von Gefahren und sozialen Signalen in bestimmten Situationen von Vorteil war.

Zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass Hochsensibilität aufgrund frühkindlicher Prägung und Trauma entsteht: Wenn ein Kind in einer unsicheren Umgebung aufwächst, in der es vielleicht Wutausbrüchen von Bezugspersonen ausgesetzt ist, oder sogar Gewalt erlebt, lernt das Nervensystem, auf der Hut zu sein, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und sich davor schützen zu können.

Wie gehe ich mit meiner Hochsensibilität um?

Auch wenn Hochsensibilität Tiefe und Schönheit ins Leben bringen kann, so ist sie in unserer lauten, schnellen Welt auch oft mit Herausforderungen verbunden. Einige typische Themen habe ich Ihnen im Folgenden aufgelistet – zusammen mit Möglichkeiten, wie Sie mit der Herausforderung umgehen können.

Mitfühlend statt kritisch: Wie Sie Frieden mit Ihrer Sensibilität schließen

Wenn Sie das Gefühl haben, nicht richtig zu sein mit Ihrer Hochsensibilität und Sie sich wünschen, das Sie anders wären, dann ist der folgende ein sehr wichtiger, wenn auch nicht ganz einfacher Schritt: Lernen Sie, sich zu akzeptieren, wie Sie sind. Interessieren Sie sich für sich selbst. Beobachten Sie, wann Sie wie reagieren. Und schenken Sie sich selbst Wertschätzung, indem Sie beispielsweise Dankbarkeit entwickeln für das, was Sie in Ihrem Leben erreicht haben. So können Sie aufhören, sich zu verurteilen und mehr und mehr im Einklang mit sich selbst leben.

Schutz vor Reizüberflutung: Ruhepausen sind unverzichtbar

Hochsensible sind anfällig für Überstimulation. Ein Büro mit 3 weiteren Personen zu teilen, kann eine große Herausforderung darstellen. Dort ein Telefonat. Da ein Gespräch unter Kollegen und alle 10 Minuten steht jemand auf, um auf Toilette zu gehen oder sich Kaffee zu holen. Kein Wunder, wenn das Nervensystem am Ende des Tages total erschöpft ist.

An vielen äußeren Umständen können wir nicht sofort etwas ändern. Aber wir können gut für uns sorgen, um besser mit den Umständen klarzukommen: Die Mittagspause alleine verbringen und im Park spazieren gehen. Auf Veranstaltungen und Netzwerktreffen muss man nicht bis zum Schluss bleiben. Wenn Sie erschöpft sind von den Gesprächen und den Geräuschen, erlauben Sie sich, sich zu verabschieden. Damit geben Sie Ihrem Körper das Signal: Du bist mir wichtig und ich achte auf dich.

Was brauche ich wirklich? Die Kunst, Bedürfnisse zu erkennen und zu äußern

Oft ist es aber so, dass es Hochsensiblen schwer fällt, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Das Nervensystem ist so sehr darauf ausgerichtet, Reize aus der Umwelt zu emfpangen (die bereits genannte Exterozeption), dass die Interozeption zu kurz kommt und die Reize von innen kaum ins Bewusstsein dringen. Hier dürfen Sie Schritt für Schritt lernen, ihren Körper mehr zu spüren. Wenn Sie es schaffen, Ihre Körperempfindungen und Ihre Gefühle gut wahrzunehmen, verbinden Sie sich wieder mit sich selbst und dem Hier und jetzt. Das reguliert nicht nur Ihr Nervensystem, sondern hilft Ihnen auch, wahrzunehmen, wann Sie müde, erschöpft, traurig, hungrig oder wütend sind.

Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie in Gesprächen oft mit Ihrer Aufmerksamkeit beim anderen sind, können Sie üben, Ihre Aufmerksamkeit bewusst in Ihrem Körper zu verankern, zum Beispiel indem Sie die Füße auf dem Fußboden spüren. Am besten üben Sie das, wenn Sie allein sind. Dann fältt es auch im Kontakt mit anderen leichter.

Im nächsten Schritt können Sie lernen, zu sagen, was Sie wirklich brauchen. Vielleicht gibt es innere Stimmen oder Gefühle, die früher schlechte Erfahrungen damit gemacht haben, eigene Bedürfnisse auszudrücken. Diese Anteile in uns können sich wie ein kleines Kind anfühlen, das Angst hat, abgelehnt oder verletzt zu werden. Versuchen Sie, mit diesem Anteil in Kontakt zu treten. Sagen Sie ihm: ‚Ich bin jetzt hier, um auf uns aufzupassen. Es ist sicher, unsere Bedürfnisse auszusprechen, und ich werde uns schützen.‘ Die Welt hat sich verändert, und Sie haben inzwischen alle Ressourcen, um in Ihrem Tempo neue Wege zu gehen.

Innere Grenzen stärken und sich vor der Energie anderer schützen

Manchmal höre ich, dass Hochsensible kein Problem damit haben, ‚Nein‘ zu sagen oder ihren Körper wahrzunehmen. Dennoch berichten viele, dass sie sich von der Energie anderer Menschen überwältigt fühlen – als ob sie deren Emotionen direkt in sich aufnehmen. Hier geht es nicht um äußere Grenzen, sondern um eine innere Grenze und einen inneren Raum, der mehr Schutz braucht.

Auch an dieser Stelle kann die Anteile-Arbeit von großem Nutzen sein. Sie können mit dem inneren Anteil in Kontakt zu treten, der gelernt hat, immer wachsam zu sein, um Gefahren schnell zu erkennen. Stellen Sie sich diesen Anteil vor wie ein Kind, das sich ängstlich umschaut. Sie können ihm sagen: ‚Ich bin jetzt erwachsen und passe auf uns auf. Du kannst dich entspannen – wir sind sicher.

Je öfter Sie diesen Anteil ansprechen und beruhigen, desto weniger wachsam muss er sein. Zusätzlich können Visualisierungen hilfreich sein, um eine Art ‚Schutzraum‘ um sich herum zu erschaffen. So lernen Sie Schritt für Schritt, Ihre Energie bei sich zu halten und sich von äußeren Einflüssen abzugrenzen.

Zurück zu sich selbst: Ruhe finden im hochsensiblen Körper

Die wichtigste Voraussetzung, um als Hochsensible im Einklang mit sich zu sein, ist das Wahrnehmen der eigenen Empfindungen und Bedürfnisse. Sehr viele Menschen in unserer westlichen Kultur haben verlernt, ihren Körper wirklich zu bewohnen und sich zu spüren. Auf Hochsensible trifft das in besonderem Maße zu. Sich mit liebevoller Neugier sich selbst zuzuwenden, kann der erste Schritt sein, wieder Zugang zum Körper und den eigenen Bedürfnissen zu bekommen. Gut für sich zu sorgen, bewusst Pausen mit wenig Stimulation zu machen, und das Nervensystem zu regulieren, sind die besten Möglichkeiten, um wieder im Körper anzukommen. Dann wird es auch leichter, zu spüren was man braucht und das auch auszudrücken.

Diese Reise zu sich selbst anzutreten, lohnt sich sehr. Denn dadurch finden wir nicht nur mehr und mehr Ruhe und Entspannung, sondern auch in unser authentisches Selbst zurück. So, wie eine Mimose ihre Blätter in einer sicheren Umgebung wieder öffnet, können auch Hochsensible sich entfalten, wenn sie liebevoll mit sich umgehen.

Ressourcen

Dies ist ein Gastbeitrag von Ute Drechsler. Ute Drechsler ist traumasensible Coachin für hochsensible und introvertierte Frauen und hat ihre Ausbildung bei der Traumatherapeutin und Beststeller-Autorin Verena König gemacht. Sie unterstützt ihre Klientinnen dabei, das Nervensystem zu regulieren, verletzte innere Anteile zu versorgen und dadurch ein Leben in Ruhe, innerem Frieden und Balance zu führen.

www.utedrechsler.de

Portrait Helke Wieners

Helke Wieners

Ich bin Systemisch Integrativer Coach, Heilpraktiker für Psychotherapie und Gesundheitspsychologe in Wuppertal.
Ich unterstütze Sie in herausfordernden Lebenssituationen, bei Veränderungsprozessen, in der Persönlichkeitsentwicklung und bei psychischen Belastungen.

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